Ermittlungsverfahren wegen Gedenktafel

Anlässlich des 10. Jahrestages der Ermordung des Flüchtlings Samuel Yeboah fand in Saarlouis eine Gedenkkundgebung statt, in deren Anschluss am Rathaus eine Gedenktafel angebracht wurde. Am 18. Februar 2002 erhielt der Anmelder der Kundgebung einen Strafbefehl vom Amtsgericht Saarlouis. Der Strafbefehl beläuft sich auf 60 Tagessätze zu 20 Euro, also 1200 Euro insgesamt. Vorgeworfen wird ihm "rechtswidrig öffentliche Denkmäler beschädigt oder zerstört zu haben". Gegen den Strafbefehl wurde Einspruch eingelegt. Voraussichtlich wird es in naher Zukunft zu einem Gerichtsprozess kommen.

Der Hintergrund

"Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis", lautete die Meldung am 19. 09. 1991 in der Tagesschau. Was war passiert? In den frühen Morgenstunden wurde im Eingangsbereich der Flüchtlingsunterkunft in Saarlouis-Fraulautern, in der Samuel Yeboah lebte und als Hausmeister arbeitete, Feuer gelegt. Dabei kam Samuel Yeboah, Flüchtling aus Ghana ums Leben und weitere Menschen überlebten schwer verletzt. Er war eines der ersten Todesopfer in Westdeutschland nach der Wiedervereinigung. Die darauffolgenden Ermittlungen wurden ohne Ergebnisse eingestellt, die Täter wurden nie gefasst.

Der Übergriff in Saarlouis stellte den Auftakt zu einer Welle von Brand- und Bombenanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland dar. Er war das Ergebnis erstarkender Neonazi-Aktivitäten in Deutschland, die im Saarland mit Saarlouis ihren Schwerpunkt hatten. Dortige Strukturen wurden in den darauffolgenden Jahren weiter ausgebaut, und Saarlouis entwickelte sich zu einer Hochburg militanter Neonazis in Südwest-Deutschland. Naziaufmärsche, zahlreiche Übergriffe und massive Präsenz von rechten Skinheads im Saarlouiser Stadtbild sorgten immer wieder für überregionale Aufmerksamkeit. Dazu gehört auch die bundesweit auftretende "Freie Kameradschaft Horst-Wessel-Saarlautern", die vor mehreren Jahren den Saarlouiser Löwenpark zur "National befreiten Zone" machte.
Für die Entscheidungsträger der Stadt Saarlouis stellten jedoch weniger die Nazis an sich ein Problem dar, sondern vielmehr der Verlust eines Rufes als weltoffene und gastfreundliche Stadt. Somit waren ihre Anstrengungen darauf konzentriert, die Existenz organisierter Neonazis zu leugnen und AntifaschistInnen, die auf die Situation in der Stadt aufmerksam machen wollten, mundtot zu machen. Beispiel hierfür waren die Reaktionen auf die antifaschistischen Aktionstage zum 5. Todestag von Samuel Yeboah: Am Rande der Veranstaltungsreihe kam es zu Auseinandersetzungen mit Neonazis, die aus der ganzen BRD angereist waren. Dies nahmen Mitglieder der Stadtverwaltung (u.a. von Bündnis 90/Die Grünen) zum Anlass, der Antifa Saarlouis ihren Treffpunkt im damaligen KOMM zu kündigen. Bis heute ist Saarlouis eine Stadt, in der sich Neonazis wohlfühlen.

19. September 2001

Zum zehnten Todestag von Samuel Yeboah rief das Antifaschistische Bündnis Saar zu einer Kundgebung in der Saarlouiser Innenstadt auf, um die Erinnerung an diesen Mord wach zu halten und gegen das zehnjährige Schweigen der Stadt zu protestieren. Nach der Beendigung der Kundgebung zogen die 150 DemonstrantInnen zum Saarlouiser Rathaus, wo eine professionell gefertigte Gedenktafel für den Ermordeten an der Fassade angebracht wurde:


Noch in der selben Nacht wurde die Tafel auf direkte Veranlassung des Oberbürgermeister Fontaine von dort wieder entfernt. Gegen den Anmelder der Demonstration erstattete er Anzeige.
Das Antifaschistische Bündnis forderte daraufhin in mehreren Presserklärungen und in einem offenen Brief, der von über 20 verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen unterschrieben wurde, die sofortige Wiederanbringung der Gedenktafel am Saarlouiser Rathaus. Dem Bündnis war es wichtig, dass die Tafel an einem zentralen Ort, und nicht Abseits vom Stadtgeschehen aufgehängt wird.
10 Jahre galt: Niemand und nichts erinnert an Samuel Yeboah, während zum Beispiel gleichzeitig vieles in Saarlouis an den Rassisten und erklärten Anti-Demokraten Lettow-Vorbeck erinnert. Auch das ist eine Entscheidung. Sogar eine hochoffizielle, denn schließlich ist Lettow-Vorbeck seit 1956 Ehrenbürger der Stadt. Auch dagegen richtete sich unser Protest.

Kriminalisierung des antifaschistischen Protests

Wurde vor drei Jahren durch die Bundesregierung noch scheinheilig zu einem "Aufstand der Anständigen" aufgerufen, werden antifaschistische/antirassistische Initiativen, die sich nicht staatlich vereinnahmen lassen, nach wie vor kriminalisiert und verurteilt. So kam es in den letzten Jahren in Saarlouis zu mehr als 20 Verfahren gegen AntifaschistInnen. Die Aktion des Antifaschistischen Bündnis Saar stieß eine öffentliche Diskussion um die Erinnerung an den rassistischen Brandanschlag in Saarlouis an. Zusammen mit dem Saarlouiser Bündnis gegen Rechts wurde dann Ende Mai in einer offiziellen Gedenkfeier mit ökumenischem Gottesdienst am Grabstein von Samuel Yeboah eine Gedenktafel angebracht. Das immer noch laufende Verfahren steht in klarem Gegensatz zu dieser Aktion. Der Strafbefehl, in dem dem Anmelder vorgeworfen wird, "rechtswidrig öffentliche Denkmäler beschädigt oder zerstört zu haben", zeigt erneut, dass die Stadt Saarlouis keinen selbstorganisierten Protest, antifaschistische Aktivitäten oder Aufmerksamkeit auf die Präsenz einer starken Neonaziszene will.

Mit dem laufenden Verfahren wird versucht, das politische Engagement des Antifaschistischen Bündnisses und seiner UnterstützerInnen zu behindern und jeglichen politischen Inhalts zu berauben. Jedoch stellt der wahrscheinliche Prozess für das Antifaschistische Bündnis Saar eine Plattform dar, um die Auseinandersetzung mit dem Vergessen wieder mit politischem Inhalt zu füllen.

Zeigt euch solidarisch, um zu verhindern, dass der Prozess leise, hinter verschlossenen Türen gehalten wird und wieder zu der Politik des Vergessens und Vertuschens zurückgekehrt wird!

Antirassistischer Widerstand lässt sich nicht verbieten! - auch nicht in Saarlouis!

Kein Vergeben - Kein Vergessen!

Für die sofortige Einstellung des Verfahrens!

Wer diesen Aufruf unterstützen will, bitte E-Mail schicken an:
info@sandimgetriebe.de

Antifaschistisches Bündnis Saar
C/O Verein für kommunikatives Wohnen & Leben e.V.
Postfach 10 32 07
66032 Saarbrücken

Tel. 0681 - 39 99 90
www.sandimgetriebe.de

Über Spenden für Anwalts- und Prozesskosten freuen wir uns:
(Stichwort "Gedenktafel")
Verein für kommunikatives Wohnen & Leben e.V.
Konto-Nr. 90 01 15 37
Blz. 590 501 01
Sparkasse Saarbrücken


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